Die Ampel war rot.
Sie hatte die Veranstaltung verlassen. Die Schuhe drückten, die Wangen schmerzten vom Dauerlächeln. Es war heiß gewesen im 20. Stock. Stickig. Man konnte kein Fenster aufmachen. Lächeln, Grüßen, Smalltalk. Kleiner Talk, so anstrengend. Dann die Preisverleihung, die Reden.
Hinter dem Fernsehturm hing die Sonne wie ein roter Ball am Himmel. Die Veranstalter hatten bunte Fächer verteilt, weil die Klimaanlage kapituliert hatte.
Die Luft unten auf dem Platz war kühl. Wassertropfen wehten vom Springbrunnen her. Sie schloss ihr Fahrrad auf und stieg auf den Sattel. Die Ampel war jetzt grün.
Sie fing an zu treten. Der Fahrtwind war so angenehm. Auf einmal hörte sie Musik. Perlentöne, ein elektrischer Beat. Grundton und Oberton. Die Musik sprach sie direkt an. Die Töne rollten über ihre nackten Oberarme.
Die Musik kam näher, wurde lauter. Es waren zwei Räder, auf dem einen saß ein Mann, auf dem anderen eine Frau. Der Mann hatte einen Anhänger mit einer Box an sein Fahrrad montiert. Sie fuhr jetzt hinter ihnen. Die Musik klang verlockend, zog sie an, sie wollte mehr hören, den Sound nicht verlieren.
Sie radelten jetzt alle drei im gleichen Rhythmus, hielten an den Ampeln, traten im Takt gemeinsam in die Pedalen. Die Stadt rauschte vorbei, sie hatte schon lange die Orientierung verloren. Köpenicker Straße, eWerk, dann eine unbekannte Straße, in der sie noch nie gewesen war.
Ich könnte ewig so weiter fahren, dachte sie, einfach weiter, nicht anhalten, immer weiter in eine neue Stadt, ein neues Leben. Und vielleicht nie mehr zurück kommen, wie die Kinder damals, die den verzaubernden Klang der Flöte hörten. Auch sie waren der Musik gefolgt.
Langsam löste sich das Rad von der Straße, stieg in die Luft, wurde leichter und leichter, getragen von der Musik in den Himmel voller Sterne.
Ganz unten, ganz klein, die Stadt.